Übung 1190 "Der Glockenguss zu Attendorn"

 

info
Version zum Drucken

Schriftgrösse ändern

 

Der Glockenguss zu Attendorn


Zu Attendorn, ein kölnisch Städtchen in Westfalen, wohnte bei Menschengedenken ein Witwe, die ihr Sohn nach Holland schickte, dort einen Beruf zu lernen. Dieser stellte sich so wohl an, daß er alle Jahr sein Mutter von de Erwerb schicken konnte. Einmal sandte er ihr ein Platte von pur Gold, aber schwarz angestrichen, neben ander Waren. Die Mutter, von de Wert des Geschenks nicht erkannte, stellte die Platte unter ein Bank in ihr Laden, allwo sie stehenblieb, bis ein Glockengießer in Land kam, bei welch die Attendorner eine Glocke gießen und das Metall dazu von der Bürgerschaft erbetteln zu lassen beschlossen. Die so das Erz sammelten, bekamen allerhand zerbrochene eherne Töpfe, und als sie vor dies Witwe Tür kamen, gab sie ihnen ihr Sohn goldene Platte, weil sie es nicht wusste und sonst kein zerbrochen Geschirr hatte.

Der Glockengießer, der nach Arensberg verreist war, um auch dort einige Glocken zu gießen, hatte ein Gesellen in Attendorn hinterlassen, mit Befehl, die Form zu fertigen und alle sonstig Anstalten zu treffen, doch mit de Guß zu warten bis zu sein Ankunft. Als aber der Meister nicht kam und der Gesell selbst gern ein Probe tun wollte, da fuhr er mit de Guß fort und fertigte de Attendornern ein von Gestalt und Klang so angenehm Glocke, daß sie ih bei sein Abschied (denn er wollte zu sein Meister nach Arensberg, ih die Nachricht von der glücklichen Verrichtung zu überbringen) so lang nachläuten wollten, als er sie hören könnte. Dabei folgten ih etliche nach, mit Kannen in den Händen, und sprachen ih mit ein Trunk zu.
Als er nun in solch Ehr und Fröhlichkeit bis auf die steinerne Brücke (zwischen Attendorn und dem fürstenbergischen Schloß Schnellenberg) gelangte, begegnete ihm der Meister, welcher alsbald mit den Worten: »Was hast du getan, du Bestie!« ihm ein Kugel durch de Kopf jagte. Zu den Geleitsleuten aber sprach er: »Der Kerl hat die Glocke gegossen wie ein ander Schelm«, er wäre erbietig, solche umzugießen und der Stadt ein anderes Werk zu machen. Ritte darauf hinein und wiederholte sein Reden, als ob er den Handel gar wohl ausgerichtet. Aber er wurde wegen der Mordtat ergriffen und gefragt, was ih dazu bewogen, da sie mit der Arbeit des Gesell doch vollkommen zufrieden gewesen? Endlich bekannte er, wie er a Klang angenommen, daß eine gute Masse Gold bei de Glocke wäre, das er nicht dazukommen lassen, sondern weggezwackt haben wollte, außerdem sein Gesell mit de Guß seine Ankunft nicht abgewartet hatte, weswegen er ihm de Rest gegeben.

Hierauf wurde de Glockenmeister der Kopf abgeschlagen, de Gesell aber auf de Brücke, wo er sei Ende genommen, ein eisernes Kreuz zum ewigen Gedächtnis aufgerichtet. Unterdessen konnte niemand ersinnen, woher das Gold zu der Glocke gekommen, bis der Witwe Sohn mit Freuden und groß Reichtum beladen nach Haus zurückkehrte und vergeblich betrauerte, daß sei Gold zwei ums Leben gebracht, einen unschuldig und einen schuldig. Gleichwohl hat er dies Gold nicht wiederverlangt, weil ih Gott anderweitig reichlich gesegnet hatte.

Längst hernach hat ein Blitz in de Kirchturm eingeschlagen und der Brand auch die Glocke geschmolzen. Worauf in der Asche Erz gefunden worden, welches an Gehalt den Goldgülden gleich gewesen, woraus derselbig Turm wiederhergestellt und mit Blei gedeckt worden.